Erst an Ostersonntag konnte ich die zweite Aufnahme der Matthäus-Passion sehen und hören, die ich zu Hause habe. Eigentlich zu spät, da dann Jesus bereits wahrhaftig auferstanden ist. Trotzdem können wir nochmal seinen Weg dahin nachvollziehen.
Diese Aufführung fand ursprünglich am 30. März und 1. April 2012 im Concertgebouw Amsterdam statt. Gespielt hat dort das Koninklijk Concertgebouworkest unter der Leitung von Iván Fischer. Gesungen haben der Netherlands Radio Choir und der National Children’s Choir sowie verschiedene Solisten – unter anderem Mark Padmore und Ingeborg Danz.
Große Namen also, die in einem der besten Konzerthäuser der Welt spielten. Wie hat sich das nun im direkten Vergleich mit der fast zeitgleichen Aufführung in der Thomaskirche in Leipzig angefühlt?
Bevor ich damit fortfahre will ich darauf hinweisen, dass das das Concertgebouworkest diese Aufnahme seit einer Woche auf Youtube vollständig zur Verfügung gestellt hat. Herzlichen Dank dafür! Ansonsten gibt es die Blu-ray hier zu bestellen.
Zunächst einmal fällt auf, dass das Concertgebouw auf der Bühne viel mehr Platz hat. Und so hat Iván Fischer Orchester und Chor strikt in einen rechten und linken Klangkörper (Tochter Zion und die Gläubigen) getrennt, wie das auch von Bach vorgesehen war. Das wird eigentlich grundsätzlich versucht, aber selten lässt der Platz eine so strikte Trennung zu. Und der Sopranchor (der Kinderchor) in Kommt, ihr Töchter, helft mir klagen gruppierte sich rund um den Dirigenten, ehe er sich dann danach auf die beiden Chöre verteilt.
Ich kann mir vorstellen, dass sich das vor Ort hervorragend angehört hat. Auf der Blu-ray bzw. eben der Anlage zu Hause geht das etwas verloren.
Insgesamt hat sich das Dirigat von Iván Fischer für mich etwas frischer und lebendiger angehört – ob das nun an der Aufnahme, dem Unterschied zwischen Konzertsaal und Kirche oder tatsächlich der Herangehensweise von Hr. Fischer lag, kann ich schwer beurteilen. Laut Beschreibung fühlt sich Iván Fischer jedenfalls nicht so sehr der historischen Aufführungspraxis verbunden – wie das bei Hr. Biller ist weiß ich nicht. Auf jeden Fall sind sowohl das Concertgebouworkest also auch das Gewandhausorchester moderne Orchester.
Der Chor hat hervorragend gesungen. Für mich etwas ungewöhnlich dieses Werk mit einem gemischten Chor zu hören – meistens höre ich das Werk mit einem Knabenchor. Tenöre und Bässe des Netherlands Radio Choirs jedenfalls waren sehr gut – stärker, als ich das von den meisten Knabenchören kenne. Hier merkt man, dass es sich um einen professionellen Chor handelt – bei Amateurchören sind Tenöre und Bässe meistens zu dünn. Die Sopran- und Altlage eines gemischten Chors klingt naturgemäß anders, als bei einem Knabenchor. Persönlich bevorzuge ich den Klang des Knabenchors, aber das mag einfach Gewohnheit sein.
Neben der strikten Trennung von Orchester und Chor gibt es auch auf jeder Seite eine vollständige Besetzung der Solisten. Das ist natürlich nur konsequent – gut fand ich es nicht. Ich konnte nicht erkennen, nach welchem Muster eine Arie nun von der rechten oder der linken Seite gesungen wurde.
Auf jeden Fall wurden zwei Bass-Arien von Jesus gesungen – noch dazu eine, nachdem er bereits tot war. Das fand ich ungemein störend, noch dazu wo es mit Henk Neven einen tollen Bass gab, der mir auch besser gefallen hat, als Peter Harvey als Jesus.
Ebenso wurde eine Tenorarie vom Evangelisten Mark Padmore gesungen – das finde ich unnötig, wenn es einen weiteren Tenor (Peter Gijsbertsen) gibt, der ansonsten wenig zu tun hat. Hier hat es mich nicht so sehr gestört, da Mark Padmore einfach großartig ist. Ich hatte das Glück ihn letztes Jahr live in der Johannespassion als Evangelisten zu erleben.
Die meisten Sopranarien wurden von María Espada gesungen, ein paar auch von Renate Arends. Beide haben ausgezeichnet gesungen.
Soweit ich das erkannt habe, wurden alle Alt-Arien von Ingeborg Danz gesungen, Barbara Kozelj ist mir tatsächlich gar nicht aufgefallen. Da ich aber unglaublich begeistert von Ingeborg Danz bin, war das auch nicht weiter schlimm.
Musikalisch war das also eine fantastische Aufführung. Aber: gefesselt hat sie mich nicht. Während mich die Aufnahme aus Leipzig emotional mitgenommen hat, blieb das Gefühl hier aus. Vielleicht wäre es anders gewesen, wäre ich live dabei gewesen. Vielleicht haben mich die Thomaner mehr begeistert, weil ich sie schon oft gesehen habe. Vielleicht ist es aber auch so, dass musikalische Perfektion gar nicht entscheidend ist, um Begeisterung zu wecken, sondern der Funke der Begeisterung eben überspringen muss – und den habe ich bei dieser Aufführung vermisst.
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