Die Kirchen und Konzerthäuser haben wieder geschlossen und so konnte ich auch diesen Karfreitag die Matthäuspassion nicht wie üblich in der Kirche erleben sondern musste mir eine digitale Alternative suchen.
Praktischerweise habe ich kurzfristig einen Tipp bekommen, dass Peter Sellars nicht nur die Johannespassion halbszenisch zusammen mit Simon Rattle inszeniert hatte, sondern auch die Matthäuspassion. Die Johannespassion fand ich wirklich herausragend und so lag es nahe auch die Matthäuspassion in dieser Fassung zu sehen, wenn auch nicht live, sondern aus der „digital concert hall“ gestreamt.
Die Digital Concert Hall is ein Angebot der Berliner Philharmoniker, das ich zwar schon länger kenne, aber noch nie genutzt habe. Das war also die Gelegenheit! Beim Stöbern auf der Seite habe ich dann gesehen, dass die Inszenierung bereits mehrfach in Berlin aufgeführt wurde: 2010, 2013 und 2019, immer in ähnlicher Besetzung. Natürlich habe ich mir die Fassung von 2010 angesehen: https://www.digitalconcerthall.com/de/concert/318
Die Aufführung ist hochgelobt: habe ich das auch so erlebt? Ohne Zweifel! Natürlich finde ich, dass das Werk eigentlich in die Kirche gehört, aber ich habe es nicht einmal in der Berliner Philharmonie erleben können, sondern nur gestreamt im Wohnzimmer. Und dafür bin ich dankbar!
Diese Aufführung ist in jeder hinsicht herausragend: die halbszenische Inszenierung von Peter Sellars ist brillant und bringt die hohe Emotionalität auf die Bühne. Man spürt, dass dort nicht einfach Sänger ihre Texte vortragen, sondern dass die erleben, worüber sie singen. Und das absolut glaubwürdig!
Erst war ich irritiert, das Christian Gerhaher als Jesus nur im Hintergrund singt, während Mark Padmore als Evangelist quasi schauspielerisch in die Rolle des Jesus schlüpft. Aber letztlich verdeutlicht das die Distanz die Jesus zu den Menschen hat, da er als Gottes Sohn ja wissend seinen Tod erlebt. Mark Padmore ist einfach unglaublich gut – sowohl schauspielerisch, als auch stimmlich. Er vermittelt die Kreuzigungsgeschichte mit einer Intensität, wie ich sie nie erlebt habe.
Aber auch alle anderen Solisten waren brillant, sowohl schauspielerisch, also auch stimmlich. Neben den bereits genannten waren Simon Rattles Frau Magdalena Kožená als Alt, die hochschwangere Camilla Tilling als Sopran, Topi Lehtipuu als Tenor und Thomas Quasthoff als Bass zu hören und sehen. Beeindruckend war auch die direkte Kommunikation zwischen Gesangssolisten und Instrumentalsolisten, die in verschiedenen Arien zu sehen war. Ich hatte oft Gänsehaut beim zusehen.
Alle sonstigen Rollen wie Judas oder Pontius Pilatus wurden von Solisten des Rundfunkchores Berlin gesungen. Das erlebe ich sonst selten, gibt dem Werk aber viel mehr Glaubwürdigkeit, insbesondere in dieser halbszenischen Fassung.
Auch der Chor hat eine fantasische Leistung gezeigt. Er wurde außerdem unterstützt von Knaben des Staats- und Domchors Berlin, die einzelne Passagen gesungen haben. Hier konnte man sehr schön hören, dass Knabenstimmen anders klingen, als Frauensoprane oder -altstimmen. Und auch das war perfekt.
Die Berliner Philharmoniker sind sowieso eines der weltbesten Orchester. Man könnte diskutieren, ob eine Aufführung mit einem ähnlich guten Barockorchester wie dem Orchestra of the Age of Enlightenment, die ich in der Johannespassion gehört habe, evtl. noch toller wäre, aber für mich war diese Aufführung einzigartig.
Das Streaming der Digital Concert Hall hat sehr einfach funktioniert und dieses Stück ist auch kostenlos abrufbar, man muss nur angemeldet sein. Ich hatte leider beim Bild ab und zu Ruckler, aber das muss an meiner mittelmäßigen Ausrüstung am Fernseher liegen, da ich hier am Computer keinerlei Aussetzer habe.
Insgesamt ein Konzertelebnis bei dem ich bedaure, nicht live dabei gewesen zu sein!
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