Cabaret kannte ich bislang nur als den vielfach Oscar-nominierten Film von 1972 mit Liza Minnelli und Michael York. Ich habe den Film mehrfach gesehen und höre die Musik immer noch rauf und runter. Aktuell ist das Musical auf dem der Film basiert in London zu erleben, mit Eddie Redmayne als The Emcee, dem Conférencier.
Für mich war es eine kleine Überraschung, dass die Story des Musicals nicht mit der Story des Films übereinstimmt. So hebt der Film viel stärker auf die Homosexualität bzw. Bisexualität der Hauptpersonen ab, während das im Musical, das übrigens von 1966 ist, nur am Rand erwähnt wird. Die Rolle des Maximilian von Heune, mit dem sowohl Sally als auch Brian (der im Musical Cliff heißt) ein Verhältnis haben, gibt es nicht. Dafür wird aber das Verhältnis von Fräulein Schneider und dem jüdischen Obsthändler Herrn Schultz intensiv beleuchtet, das im Film in anderer Form eine Nebenrolle spielt.
Auch gibt es im Musical weitere Songs, die im Film nicht auftauchen, dafür wurden aber Songs, die für den Film nachträglich komponiert wurden, in das Musical integriert. Die Filmmusik und die Musik des Musicals stammen aus der gleichen Feder, insofern passt das wunderbar. Ich wäre auch enttäuscht gewesen z.B. Mein Herr oder Maybe This Time nicht zu hören!
Alle die vergessen haben, wie der brillante Titelsong geht, können ihn sich hier nochmals anhören:
Allerdings gibt sich der Song im Film sehr positiv, im Musical kommt der Song gegen Ende, nach der Machtergreifung der Nazis und die Darstellung auf der Bühne hinterlässt einen sehr zwiegespaltenen Eindruck, oder wie Cliff es formuliert The Party is over. Insgesamt kippt die Stimmung in der zweiten Hälfte des Stücks und lässt einen nachdenklich und betroffen das Theater verlassen. Das ist natürlich auch der fantastischen Inszenierung und schauspielerischen Leistung der Akteure zu verdanken.
Dieses Stück passiert nämlich nicht einfach auf der Bühne. Man hat das ganze Theater umgebaut – und bei der Gelegenheit in Kit Kat Club umbenannt, in dem sich Teile der Handlung zutragen. Man betritt also als Zuschauer nicht ein Theater, sondern den Kit Kat Club und wird damit quasi Teil der Handlung. Die Bühne wurde mitten in den Zuschauerraum verlegt und teilweise sitzt man an kleinen Tischen rings um die Bühne, die auch alle mit altmodischen Telefonhörern versehen sind (damals konnte man so Kontakt mit den Cabaret Girls und Boys aufnehmen), speist und trinkt seinen Champagner.
Schon vor der eigentlichen Handlung ist man von Musikern und Tänzern umgeben. Sie funktionieren als Prolog aber lassen Cabaret zu einem immersiven Erlebnis werden, wie ich es noch nie erlebt habe. Teilweise kamen die Zuschauer verkleidet – worüber ich mich am Anfang noch amüsiert habe; beim nächsten Mal würde ich mich evtl. auch verkleiden. Jedenfalls, wenn es mir wieder gelingt einen der bühnennahen Tische zu ergattern.
Von den Kostümen und dem Makeup der Figuren im Cabaret ist alles teilweise bis zum Grotesken überzeichnet, die Figuren außerhalb des Cabarets sind der Zeit Anfang der 30er angepasst. Die meisten Kostümwechsel hat Eddie Redmayne als Emcee, der überragend gespielt hat. Ich bin selten von den großen Namen aus Hollywood enttäuscht worden, aber Eddie Redmayne war fantastisch – auch gesanglich.
Gesanglich hat mich auch Anna-Jane Casey als Fräulein Kost begeistert, die ich offenbar als Mrs. Wilkinson bereits in Billy Elliot gesehen habe. Sehr amüsant auch der starke deutsche Akzent des Englischen von allen deutschen Rollen, insbesondere eben von Fräulein Kost.
Zusammenfassend kann ich sagen, dass die Aufführung ein so immersives Erlebnis ist, wie man es wohl nur in London erleben kann. Ich würde es mir sofort wieder anschauen. Leider kann ich kein einziges Foto von den Innenräumen zeigen, da einem die Smartphone-Kameras beim Betreten des Theaters überklebt werden. Aber auch das trägt zum Gesamterlebnis bei, sonst hätten viele sicherlich ständig fotografiert. So aber müssen wir die Erinnerung an das Erlebnis allein in unseren Gedanken mitführen.
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