Der Windsbacher Knabenchor feierte seinen 75. Geburtstag nach und hatte dazu eingeladen: die Regensburger Domspatzen, den Knabenchor Hannover, den Poznański Chór Chłopięcy aus Posen, die Escolania de Montserrat aus Barcelona und den Nidarosdomens Guttekor aus Trondheim. An einem Tag fanden vier Konzerte statt – insgesamt rund sechseinhalb Stunden Musik aus sieben Jahrhunderten mit ungefähr 300 Sängern.
Das hat es so wohl noch nie gegeben – Knabenchorfestivals durchaus, aber eben nicht mit so vielen Chören, nicht so international und nicht so dicht. Ein ganz besonderes Erlebnis also, das man wirklich erlebt haben muss! Zumindest, wenn man diese Art der Musik mag. Aber Knabenchöre liegen im Trend: dieses Jahr gibt es beim Rheingau Musikfestival einen Fokus Knabenchöre, beim dem neben den Windsbachern und den Regensburgern auch die Thomaner, Kruzianer und Tölzer zu hören sind. Und die Konzerte sind gut besucht.
Interessant war zu hören, ob die Chöre trotz der coronabedingten Einschränkungen im Probenbetrieb und den vielen ausgefallenen Konzerten ihren einmaligen Klang bewahren konnten. Um es vorwegzunehmen: sie konnten! Für mich war es beeindruckend zu erleben, welche ungeheure Klangqualität bei dem Festival zu hören war! Natürlich müssen Knabenchöre jedes Jahr neue Sänger integrieren und den Verlust anderer Sänger ausgleichen (durch Stimmbruch und Weggang nach der Schule) – ich hatte aber dennoch befürchtet, dass die Einschnitte der letzten zwei Jahr deutlicher zu hören sind. Allein das war für mich ein kleines Wunder!
Das erste Konzert startete um 11 Uhr in der St. Sebald Kirche in Nürnberg. Die Gastgeber hatten den ersten Auftritt und um die Aktualität der Knabenchormusik zu dokumentieren sangen sie sechs zeitgenössische Werke – vier davon eigens für den Windsbacher Knabenchor komponiert. Uraufführungen im eigentlichen Sinn waren es keine mehr, dennoch bisher sicher erst selten aufgeführt. Ich lebe mein Leben von Vytautas Miškinis, MUSIK von Moritz Eggert, Kinder des Lichts von Jan Sandström und Laudes Creaturarum von Javier Busto. Alles sehr unterschiedliche Stücke die zeigen, wie variantenreich Chormusik sein kann! Die Windsbacher brillierten auf hohem Niveau!
Den zweiten Teil des Konzertes gestaltete dann der Poznański Chór Chłopięcy aus Posen. Auch dieser Chor hatte sechs ausschließlich zeitgenössische Werke mitgebracht, zwei davon vom Chorleiter Jacek Sykulski selbst komponiert – besonders das Angelus Domini. Ave Maria hatte es mir angetan! Der Männerchor der Posener ist auch mit älteren Männern besetzt, die früher selbst als Knaben mitgesungen haben. Später haben wir erfahren, dass man bis zum Alter von 40 Jahren dort mitsingen kann. Das ist auch zu hören. Mir hat dieser Chor ausgezeichnet gefallen!
Zum Abschluss sangen beide Chöre dann gemeinsam Locus iste von Anton Bruckner unter der Leitung von Jacek Sykulski.
Das zweite Konzert begann um 13:30 Uhr in der St. Lorenzkirche, zunächst mit dem Nidarosdomens Guttekor aus Trondheim unter der Leitung von Bjørn Moe mit Orgelbegleitung durch Marilyn Brattskar. Hier gab es viel norwegische Musik zu hören – von der Romantik bis zur Avantgarde. Besonders gut gefallen hat mir insbesondere das letzte Stück von Jon Laukvik Three Poems (gespielt wurde nur das erste der Poems) – ich hätte gern das ganze Werk gehört. Insgesamt war mir die Orgelbegleitung teilweise zu dominant; der Chor muss dann gegen die Orgel ansingen. Sehr unschön war, dass der erste Konzertteil zweimal unterbrochen wurde – einmal durch die Geräusche einer Kirchenuhr und ein zweites Mal durch das Geläut.
Den zweiten Teil des Konzertes übernahmen die Regensburger Domspatzen unter der Leitung von Christian Heiß. Er hat die Leitung des Chores 2019 übernommen. Seitdem habe ich die Domspatzen noch nicht wieder live gehört aber bei Aufnahmen war mir bereits aufgefallen, dass sie sich hörbar gesteigert hatten. Und ich wurde nicht enttäuscht. Die Domspatzen klingen wunderbar rund und harmonisch. Ihr Programm war größtenteils deutlich älter, als das der anderen Knabenchöre – beginnend bei der Renaissance mit Orlando die Lasso oder Claudio Monteverdi über das Barock mit Heinrich Schütz oder Gottfried August Homilius dann aber auch bis zur Avantgarde mit Aleksandar Vujić oder Rihards Dubra.
Zum Abschluss des zweiten Konzertes sangen beide Chöre den Sommarpsalm des schwedischen Komponisten Waldemar Åhlén. Anbei eine Fassung gesungen nur von den Regensburger Domspatzen – vielen Dank an der Stelle an Lars Gref von Chor Gesang – Das Musikmagazin für seine wunderbaren Videos. Ich bin schon gespannt, was es zu diesem Festival zu sehen geben wird!
Das dritte Konzert begann um 16 Uhr wieder in St. Sebald. Eröffnet wurde es von der Escolania de Montserrat unter der Leitung von Llorenç Castelló i Garriga mit Orgelbegleitung durch Mercè Sanchis. Die Escolania de Montserrat ist ein reiner Knabenchor. Die Männerstimmen mussten sozusagen von der Orgel übernommen werden. Das hat wunderbar funktioniert! Ein herrlicher Klang dieses traditionsreichen Chores. Das Programm war quasi eine Zeitreise katalanischer Werke beginnend im 14. Jahrhundert bis hin zu drei zeitgenössischen Werken von Bernat Vivancos.
Die zweite Hälfte des Konzertes gestaltete der Knabenchor Hannover unter der Leitung von Jörg Breiding. Auch hier hörten wir einen musikalischen Querschnitt von der Renaissance über Barock – die einzigen Werke von Bach an diesem Tag – der Romantik bis hin zur Moderne mit Sergei Rachmaninow und Zeitgenössischem von James MacMillan. Besonders hervorheben möchte ich das Ubi caritas von Maurice Duruflé: herausragend gesungen!
Auch hier gab es zum Abschluss ein gemeinsames Stück zu hören: Denn er hat seinen Engeln von Felix Mendelssohn Bartholdy.
Den großen Abschluss bildete dann das Konzert um 19:30 Uhr in der ausverkauften Lorenzkirche. Dieses Konzert wurde auch online gestreamt. Es wäre spannend zu erfahren, ob der Stream später auch abrufbar sein wird!
Hier trafen sich nun alle sechs Chöre gemeinsam, wobei zunächst jeder Chor zwei bis drei Stücke alleine gesungen hat und anschließend wirklich alle Chöre gemeinsam zusammen standen und zwei Stücke sangen.
Nicht nur um die Chorwechselzeiten zu überbrücken, hat man zusätzlich einen Moderator eingeladen: Clemens Nicol, der selbst früher einmal Chorknabe bei den Windsbachern war. Ich kenne ihn vor allem aus der BR Klassik Reihe „Das Verhör„. Er hat wunderbar und launisch durch das Programm geführt.
Die Eröffnung machte natürlich der Windsbacher Knabenchor mit Jauchzet dem Herrn, alle Welt von Felix Mendelssohn Bartholdy. Es folgten angemessene Grußworte der Vertreterin des Ministerpräsidenten von Bayern und des Vorsitzenden vom Förderverein. Dann sangen die Windsbacher Laudate Dominum von Urmas Sisask und das Abendlied von Josef Rheinberger.
Die Zweiten waren die Sänger der Escolania de Montserrat mit zeitgenössischen katalanischen Werken.
Dann folgten die Regensburger Domspatzen, auch mit einem Laudate Dominum des Chorleiters selbst.
Anschließend kam der Poznański Chór Chłopięcy auf die Bühne. Sie sangen erst den New-Age Popsong Ameno und dann World Music Imbakwa. Ein seltener Ausflug in die Unterhaltungsmusik, den ich eher bei osteuropäischen Chören erlebe.
Der Knabenchor Hannover sang nochmal drei Werke, die er mittags schon gesungen hatte.
Der Nidarosdomens Guttekor hatte nochmals Stücke norwegischer Komponsiten – fast alle zeitgenössisch – aufgeführt.
Zum großen Finale mussten dann alle Chöre eng zusammenrücken. Rund 300 Knaben und Männer sollten Platz finden, um gemeinsam Ubi caritas von Maurice Duruflé und Locus iste von Anton Bruckner zu singen. So viel Stimmgewalt gibt es nicht einmal bei der Sinfonie der Tausend. Ein wunderbares Bild und ein wunderbarer Klang.
Dem Windsbacher Knabenchor sei Dank, dass er zu seinem Jubiläum diese hervorragenden Chöre eingeladen hat, um gemeinsam zu musizieren und viele Menschen glücklich zu machen! Es ist ihm gelungen!
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